Bettina Kresslein

Dr. Brigitte Baumstark

Kunstsammlung Städtische Kunstgalerie Karlsruhe 2002

Expressive Farbigkeit, eine lockere Pinselschrift, die für
rasches Arbeiten steht, und der ausschnitthafte Blick auf
eine Szene charakterisieren die neusten Werke der Malerin
Bettina Kresslein. Im Mittelpunkt ihres Werkes steht die
Darstellung des Menschen in den verschiedensten Situationen
seines alltäglichen Lebens. In der Regel arbeitet die
Künstlerin in Serien, die sich nicht nur inhaltlich, sondern
auch formal und in der Farbwahl entsprechen.


Bei der Durchsicht ihrer neusten Arbeiten fällt auf, dass
Frauen das Bildfeld beherrschen. Es sind in ihrer Erscheinung
sehr feminine Frauen, die ihre weiblichen Reize
selbstbewusst zur Schau stellen. Sie tragen enge, figurbetonte
Kleider mit weiten Ausschnitten. Die rot lackierten
Nägel korrespondieren zu rot betonten, üppigen
Lippen und der ebenfalls häufig roten Mähne. Doch es
geht Bettina Kresslein nicht darum, ihre Frauen einer
gängigen Modeschönheit zu unterwerfen, sondern sie
sucht die Eigenarten des jeweiligen Typus, die sie bis ins
Karikierende gesteigert herausarbeitet. Mit augenzwinkerndem
Humor und tiefem Einverständnis überzeichnet
sie die Frauen und stellt sie zuweilen in exaltierten
Haltungen dar. Ein wesentliches Stilmittel der Malerin ist
die Nahsichtigkeit, die dazu führt, dass die Figuren vom
Rand des Bildfeldes überschnitten werden. Das heißt,
meist ist allein ihr Oberkörper, der Hals, der Kopf bis zur
Nasenspitze und eine Hand wiedergegeben. Die Figuren
können die gesamte Bildfläche einnehmen, immer wieder
werden sie an den Rand gedrängt, aber sie bestimmen
auch dann noch die Fläche mit ihrer selbstverständlichen
Präsenz. Die Fokussierung des Blickes auf die Figur hat zur
Folge, dass der Umraum völlig zurücktritt und allein als
weiße, rote oder schwarze Fläche angelegt wird.

Zu den grundlegenden Inhalten, mit denen sich Bettina
Kresslein seit langem beschäftigt, gehört das Thema
„Essen und Trinken“. In diesem Themenkomplex verarbeitet
die Künstlerin Szenen, die sie auf ihren zahlreichen
Reisen, vor allem in Frankreich und in Italien beobachten
konnte. Immer führt sie ein Skizzenbuch mit sich, in dem
sie verschiedene Situationen festhält. Im Atelier setzt sie
die gezeichneten „Erinnerungen“ in Bilder um. Doch meist
ist ein Thema nicht mit einer Arbeit abgeschlossen,
sondern die Künstlerin nimmt es zum Anlass, dieses zu
umkreisen und in mehreren Arbeiten auszuloten. So entstehen
Serien zum Beispiel zu „France“ oder „Cenacolo“.
Grundelemente sind der Tisch, auf dem Speisen, Früchte
und Geschirr stilllebenhaft stehen, und der „Gourmet“,
der immer alleine bleibt.

In der Serie „France I-III“ ist immer derselbe gedeckte Tisch
mit den typisch französischen Snacks wie dem Salami-
Sandwich und der Tasse Kaffee als Grundkonstante
wiedergegeben. Zunächst placiert die Malerin eine Frau
an dem Tisch, im folgenden Bild bleibt dieser unbesetzt
und im dritten sitzt dort ein Mann. Fast könnte es sich um
drei Stills aus einem Film handeln. Die Frau nimmt die
linke Seite des Tisches ein. Zu sehen ist der Oberkörper,
der Kopf bis zum unteren Nasenansatz und ihre rechte,
in den Raum greifende Hand. Sie trägt ein schwarzes,
tief dekolletiertes Kleid, das farblich stark zum Rosaton
der Haut kontrastiert. Das leuchtende Rot der Haare, der
Lippen und der Fingernägel setzt farbliche Akzente und
unterstreicht die weiblichen Reize. Während die Frau
möglichst wenig Platz am Tisch beansprucht und von der
Ecke des Tisches nahezu aufgespießt wird, nimmt der
Mann die obere Tischkante ein und besetzt so seinen Platz
im Bild. Der massige Oberkörper in weiß und schwarz
wird nicht näher definiert. Sein Gesicht ist sichtbar, wird
aber von einer Sonnenbrille verdeckt. Durch die gegenläufige
Anordnung der Hauptdiagonalen wird die Zusammengehörigkeit
der beiden Gemälde unterstrichen.

Die stilllebenhaft angeordneten Speisen und Früchte, die
auch zum alleinigen Bildthema werden können, sind im
malerischen Vortrag und in ihrer Anordnung im Gesamten
sehr reizvoll. Inhaltlich beziehen sie sich nicht mehr auf die
„Vanitas“- und „memento mori“ - Gedanken, wie sie auf
den niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts dargestellt
werden. Vielmehr dienen die Zitrone oder Artischocke
dazu, einen Hinweis auf ein Land oder eine Region
zu geben, in dem die Szene beobachtet wurde.
Ging es in der Serie „France“ eher um die Darstellung von
Rollen und Typen – wird in der Serie „Gourmette“ das neue
Selbstbewusstsein der Frau thematisiert und gleichzeitig
der direkte Zusammenhang von Essen und Sinnlichkeit
hergestellt. Wie in der lateinischen Tradition das Wort
„homme“ die Gleichsetzung von Mann und Mensch bedeutet
und keine weibliche Form existiert, gibt es auch
für den „Gourmet“ keine weibliche Formulierung.
Deshalb stellt ihm die Künstlerin augenzwinkernd die
von ihr kreierte „Gourmette“ zur Seite, die sich durch ihre
körperliche Präsenz und ihre erotische Ausstrahlung auszeichnet.
Auch sie ist nahsichtig und ausschnitthaft
wiedergegeben, so dass die Speisen und der üppige, rot
geschminkte Mund in ein direktes Verhältnis gebracht
werden. Thema ist hier die Sinnlichkeit des Essens, die
Hingabe an den Genuss.

Doch das geradezu intime Verhältnis zu den Speisen und
Getränken lässt keine Geselligkeit zu. Die Künstlerin
steigert die erotische Stimmung durch ihre entschiedene
Farbwahl. Glühendes, feuriges Rot und tiefgründiges,
nächtliches Schwarz steigern sich gegenseitig.

Bei der Anlage ihrer Arbeiten wählt Bettina Kresslein
zunächst die fotografische Strategie der Nahaufnahme
und das ausschnitthafte Wiedergeben einer Szene. Als
weitere kompositorische Mittel kommen eine geringe
Raumtiefe und das Übereinanderschichten der Motive,
verbunden mit einer flächigen Ausarbeitung der Bildelemente,
hinzu. Eine hochgeklappte Tischfläche kann wie
ein Sockel für die Büste der dargestellten Figur wirken.
Eine schräge Tischkante erzeugt Dynamik im Bild und
leitet den Blick des Betrachters zur dargestellten Person.
Die Räumlichkeit ist gering ausgeprägt, doch es entsteht
eine gewisse Tiefenwirkung. Immer wieder legt die
Künstlerin die Tischplatte so an, dass sie an einen ins Bild
vorstoßenden Pfeil erinnert. Dieser weist direkt auf die
Frau, die an seiner Spitze plaziert ist, ohne sie aus dem
Bild drängen zu können.

Bettina Kresslein unterstreicht ihre expressive Gestaltungsweise
durch die Farbwahl. Sie reduziert ihre Palette
auf wenige Grundfarben: Gelb, Rot, Schwarz, Weiß und
bestimmt für jede Bildserie einen farblichen Grundakkord.
Statt zarter vielfältiger Farbvaleurs sucht die Künstlerin
intensive Kontraste. Selten treffen zwei Farben von geringem
Helligkeitsgrad aufeinander. Die sinnlich-grelle
Farbigkeit ist ein grundlegender Teil der bildnerischen
Konzeption und dient weniger dazu einen Gegenstand
farblich zu charakterisieren. Sie wird von der Künstlerin
eingesetzt, um Emotionen zum Ausdruck zu bringen.