Bettina Kresslein

Martin Roeber

Männer und Frauen

„Der Mensch ist das Maß aller Dinge“, das könnte als
Motto über den Bildern von Bettina Kreßlein stehen.
Und dieser Satz steht – natürlich kein Zufall – auch unter
einem der Bilder.
Was sehen wir da?
Einen ziemlich eitlen Fatzke; es sind schönere Männer
denkbar. In der Hand hält dieses „Maß aller Dinge“ das
unvermeidliche Gläschen, gefüllt mit rotem Stoff.
Autor dieses Satzes ist übrigens der griechische Philosoph
Protagoras, also einer der berühmt-berüchtigten Sophisten;
Zeitgenosse von Perikles – etwa 450 vor Christus.
Dieser Satz des großen Protagoras wird natürlich fast
immer missverstanden. Man wittert Überheblichkeit,
Unterjochung der Natur, Überschätzung der menschlichen
Fähigkeiten.


Dabei meinte Protagoras etwas ganz anderes: Er leugnete
nur ein sicheres menschliches Wissen, wenn man so will
auch die göttliche Autorität. Schlichte Beobachtung der
Natur und der Menschen brachte die Sophisten zu der
Erkenntnis: Die Wirklichkeit sieht anders aus als Konvention
und Gesetze unterstellen.
Das kann man auch Realismus nennen, gefördert durch
scharfe Beobachtung.
Und damit sind wir schon wieder bei den Bildern Bettina
Kreßleins. Auch da wird nichts idealisiert oder heroisiert.
Hier zeigt sich eine scharfe Beobachterin der Umwelt,
eine Realistin, geschult an Malervorbildern wie Otto Dix,
Karl Hubbuch oder auch Helmut Goettl.
Realismus kann und soll anecken. Das ist seine Stärke
gegenüber der abstrakten Kunst, die ja doch oft Arabesque
und Dekor bleibt.
Wer sich auf Bettina Kreßleins Bildern wiedererkennt, der
wird zunächst nicht erfreut sein. Mancher Freund der
Malerin musste erst einmal schlucken.
Wer sich wiedererkennt, der fühlt sich leicht ertappt.

Frau Kreßlein sammelt geradezu Menschenbilder. Ihre
Abbildungen sind aber fast nie Portraits, sondern Typisierungen.
Sie zeigen Allgemeingültiges, jeder kann, darf und
soll sich wiedererkennen; wenigstens teilweise. Aus der
Vielfalt der Typen entsteht ein realistisches Abbild der Welt.
Und diese Welt ist so erfreulich nicht; vielleicht weil der
Mensch sie als Maß aller Dinge geprägt hat.
Die Menschen, die man hier bei einem Gläschen Rotwein
oder einem Aperitif zusammen sitzen sieht, die wirken oft
genießerisch, selten aber glücklich. Wie ein roter Faden
zieht sich das Motiv der Kommunikationslosigkeit durch
die Bilder.

Manchen Frauen stoßen solche Bilder bitter auf. Als
gelernter Feminist weiß doch heute sogar jeder Mann,
dass Frauen per se schön sind. Und dann kommt ausgerechnet
eine Malerin und kündigt diese ästhetischideologische
Solidarität auf.
Freunde der Malerin erinnern sich mit Freuden an eine
Ausstellung, bei der es zu tätlichen Auseinandersetzungen
kam, provoziert von Frauen, die in den Bildern eine
Denunziation der schönen Weiblichkeit sahen. Beinahe
eine Art von Bildersturm.
Erinnerungen werden da wach an den ehemaligen
Bundestagspräsidenten Philip Jenninger, der einmal
gegen Bilder von Klaus Staeck mit einer Abreißaktion
vorging. Aber kann sich eine engagierte Realistin ein
schöneres Kompliment für ihre Bilder denken?

Übrigens: Die Männer kommen bei Bettina Kreßlein
keineswegs besser weg.