Bettina Kresslein

Walter Schumacher

Rede zur Ausstellungseröffnung von Bettina Kresslein
am 21. November 2005 in der Staatskanzlei Mainz

Kunst und Fußball“ – ich beginne aus Respekt vor dem
Deutschen Fußball-Bund in Frankfurt. Goethe hat das
Thema in Verse gefasst. Ich zitiere aus dem berühmten
Faust-Monolog:
Habe nun, ach, Philosophie
Juristerei und Medizin,
und leider auch Theologie
durchaus studiert, mit heißem Bemühn.


Da steh ich nun, ich armer – Toooor! Toooor! Toooor!
Oder Rilke, Gedicht „Der Ball“: „Du Runder, du zwischen
Fall und Flug noch Unentschlossener…“ Was für eine
grandiose Ball-Behandlung…
Ich zitiere aktuellere Fußball-Literatur aus dem Buch
„Fever Pitch“ des Engländers Nick Hornby; es ist die
Geschichte eines Fans und, wie Nick Hornby schreibt,
„die verzweifelte Rechtfertigung, die man von einem
Mann erwarten kann, der einen großen Teil seiner Freizeit
damit verbracht hat, sich in der Kälte erbärmlich aufzuregen“.
Schön auch der Satz in „Fever Pitch“: „Der natürliche
Grundzustand des Fußballfans ist bittere Enttäuschung,
egal wie es steht.“ Und Fußball ist im Resümee
des Autors „keine Flucht und keine Form der Unterhaltung,
sondern eine andere Version der Welt“ – also
Kunst. Oder Kult.
Das war nicht ab der ersten Spielminute der Fußball-
Geschichte so. Ein Buch eines Sport-Professors 1898 trug
den Titel „Fußlümmelei“. Autor Professor Karl Planck
postulierte, ein Fußtritt sei – wörtlich – „ein Zeichen der
Wegwerfung, der Abscheu. Das Einsinken des Standbeins
ins Knie erniedrigt den Menschen zum Affen.“
Nun will ich nicht aus alten Büchern alles zitieren –
sonst geriete ich noch an die Satzung des Deutschen
Fußball-Bunds DFB aus dem Jahr 1900. Dort steht:
„Ordentliches Mitglied kann jeder Verein werden, sofern
er keine Berufsspieler zu seinen Mitgliedern zählt.“
Als Berufsspieler gilt auch, „wer für Reisen eine Entschädigung
in Geld, Geldeswert oder Gegenständen erhalten
hat“. Von dieser verabschiedeten Regel hat sich der DFB
verabschiedet.
Fußball – historisch seit dem zehnten Jahrhundert.
Kunst – dokumentiert seit Jahrtausenden.
Höhlenmalerei und Felderspielerei.
Wir eröffnen heute Abend eine Kunst-Ausstellung von
Bettina Kresslein.
Das ist Kunst. Doch was ist Kunst?
Eine Antwort von Walter Jens – Professor Walter Jens,
die Zeit wird nachgespielt.
Walter Jens hat klassisch formuliert:
„Fußball - Wirklichkeits-Verdoppelung und zugleich
Entwurf von Möglichkeit? Widerschein und Vorausschau
in eins – wie die Kunst?“ Professor Walter Jens, klassisch,
asthmatisch und gesponsert vom DFB – zum Jubiläum
vor Jahren.

Die Frage steht nun im Raum, in dem die Fußball-Bilder
von Bettina Kresslein hängen: Fußball und Kunst, eins?
Der Ball ist rund und das Bild ist eckig. Und so war es von
Anfang an. Runde Bilder? Eckige Bälle? – nie gesehen. Die
Natur-ur-form ist rund Kugel, Ball – Idealform in der
belebten und in der unbelebten Natur, tierisch, pflanzlich,
mineralisch.
Bilder haben Ecken, auch wenn das Motiv ein Ball ist . Und
das war’s zum ersten Mal im Barock, zweite Halbzeit des
achtzehnten Jahrhunderts: der Maler Gabriele Bella aus
Venedig malte ein Ballspiel mit zwei Toren. Der Titel ist
italienisch, Trappatoni müsste übersetzen. Und auch
wenn der Maler aus Venedig war, spielt seine Szene an
einem Berg, und es ist nicht Wasserball.
Ich will nicht durch die ganze Kunstgeschichte dribbeln:
Sie kennen ja die berühmtesten Künstler: Albrecht Dürer
vom 1. FC Nürnberg oder Vincent van Gogh von Ajax
Amsterdam. Oder Picasso, der eine blaue Periode hatte,
aber nie auf Schalke spielte.
Ein Gobelin in der Barbarossa-Burg von Kaiserslautern
erinnert an den Pfalzgrafen Johann Casimir, Ururururgroßonkel
von Fritz Walter, und jener hat wie dieser Ball
gespielt. Beide haben darüber Bücher geschrieben, der
alte Pfalzgraf nur Tagebücher, in denen er schreibt, er
habe „mit Ballonen gespielt“; vom Regieren spricht er
nicht. So sind in den Gobelin Bälle gewirkt .
Weil ich von Büchern geredet habe, Literatur, Kunst. Ich
muss als Kaiserslauterer – mit Genehmigung des Autors -
den Dichter Franz Beckenbauer zitieren, aus seinem Buch
„Ich. Wie es wirklich war“.
Da steht - wirklich, wörtlich: „Man gewöhnt sich an alles.
Nur nicht an Kaiserslautern.“
„Ist Fußball Kunst?“ hat der Münchner Oberbürgermeister
gefragt, als Franz Beckenbauer mit der Goldenen Ehrenmünze
der Stadt geehrt wurde, die in der Stadtgeschichte
bis dato einzig Künstlern und Wissenschaftlern verliehen
wurde. „Ist Fußball Kunst? Es kommt halt darauf an, wie
man spielt.“ Oberbürgermeister Christian Ude, der Franz
Beckenbauers Eleganz und Ästhetik rühmte, also seine
Kunst.
Die Bücher über Fritz Walter voriges Jahr wurden im
Feuilleton rezensiert, nicht auf den Sport-Seiten. Und die
Frankfurter Allgemeine Zeitung, für ihr kluges Kopfballspiel
gepriesen, porträtiert Uwe Seeler auf der Politik-
Seite, die „Zeitgeschehen“ überschrieben ist.
Was ist mit der Zeit geschehen, dass die Fußballer so
geadelt werden, wie früher die Künstler?
Einer der wichtigen deutschen Schriftsteller seiner Zeit,
Ludwig Harig, hat ein Sonett auf Fritz Walters Eckbälle
geschrieben!

Das Bundesverdienstkreuz mit Stern, 1995 an Fritz Walter
verliehen vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten
Kurt Beck, der erste Sportler, der’s erhalten hat in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Die Fußballer, die Künstler sind, wie die einmaligen
Ehemaligen – sie werden, wie die Künstler, in transzendenten
Dimensionen betrachtet, geachtet, verehrt.
Wünsche und Gefühle – beim Wort Gefühl muss ich an
Andy Möller denken und seinen Aphorismus: „Vom Feeling
her habe ich ein gutes Gefühl.“ – Hoffnungen, Sehnsüchte,
Zeit-Geist werden vom Publikum auf sie projiziert.
Wo die Kunst Ware wird, wird Fußball das Wahre.
Und das Spiel ohne Ball, das können nur Fußballer;
Künstler fasziniert der Ball, wenn sie malen. Ein modernes
Bild des Stars Markus Lüpertz ist „Fußball dithyrambisch“,
ein Prallball ist’s. (1966 gemalt im WM-Jahr). Günter
Uecker, auch einer aus der deutschen Künstlernationalmannschaft,
hat einen Nagelfußballschuh kreiert. Der
bedeutende Maler Fritz Genkinger nennt ein großes
Gemälde: „Großer Fallrückzieher“. Und um noch einen Kick
Avantgarde ins Spiel zu bringen: die Künstlerin Susken
Rosenthal hat in einem avantgardistischen Kunstwerk alle
Spielzüge des Länderspiels Argentinien – Deutschland
von 1987 mit dem Lötkolben in Dachpappe graviert. Das
Ergebnis? Das Kunst-Ergebnis ist ein Relief. Das Fußball-
Ergebnis war 1 : 0 für Argentinien.
„Rundlederwelten“ ist der Titel einer aktuellen und
offiziellen Kunst-Ausstellung der FIFA.
Der Katalog spricht von einer „generellen Kulturalisierung
des Sports“ – und so angestrengt–geschraubt sieht vieles
aus, was zu sehen ist..
Installationen, Projektionen, Videokunst – selten Malerei,
vom berühmten Lüpertz-Ball abgesehen. Die Video-
Künstlerin Ingeborg Lüscher aus der Schweiz – sie hat die
Fußballmannschaften von Grashoppers Zürich und vom
FC St. Gallen, die um die Schweizer Meisterschaft
kämpften, zuvor für die Kunst spielen lassen: das Kunst-
Video zeigt die 22 Spieler, gekleidet in maßgeschneiderte
Manager-Anzüge, grau gegen blau. Der Ball wird ab und
an zum Laptop oder Handy oder Aktenkoffer.
Eine hübsche Allegorie und ein ernstes Sehvergnügen.
Einen Phototitel nenne ich noch, von Juergen Teller, einem
Photografen: „Arschloch reading Kicker.“ Und mit dem Titel
ist auch beschrieben, was auf dem Photo zu sehen ist .
„Soccerart – Fußballkunst“ nennt Bettina Kresslein ihre
Ausstellung, die im letzten Jahr in Berlin gez eigt wurde –
und dann in den barocken Räumen der Staatskanzlei des
Landes Rheinland-Pfalz eröffnet wurde.
Nie war so viel Rot in dieser Halle des Barockbaumeisters
Maximilian von Welsch.

Rot ist für die Künstlerin eine sehr wichtige Farbe, die sie
emotional fasziniert. Ihre liebste Farbe als Malerin.
Über ihre liebste Fußball-Farbe habe ich sie nicht gefragt
– die rheinland-pfälzischen Bundesligisten tragen beide
Rot als Vereinsfarbe…
Die einen, die meinen aus Lautern zur Zeit dunkelrot –
oder Wein-Rot, weil´s zum Weinen ist. Die Fußballbilder
von Bettina Kresslein sind stark und haben Kraft, Power,
Dynamik, Verve.
Sie sind expressiv gemalt, grell und laut – was Sie hier
sehen, sehen Sie selbst, das will ich nicht interpretieren.
Nur sagen, dass die Künstlerin meist in Serien arbeitet,
die sich in Farbe, Form und Inhalt entsprechen. „Soccerart“.
Und dass Bettina Kresslein Menschen malt in diversesten
Situationen des Lebens.
Aber nie ganz, sondern in Ausschnitten – sie erklärt das
lakonisch-ironisch so: „Man weiß ja genau, wie das Bild
weitergeht.“
Ich habe das Glück, jeden Morgen, wenn ich in die
Staatskanzlei komme, ein Bild von Bettina Kresslein zu
sehen – schon seit elf Jahren (Fußballzahl).
Es ist ein Zeitungsleser, schwarz-weiß. Und jeden Abend
habe ich das Glück, zuhause im Wohnzimmer ein Bild von
Bettina Kresslein zu sehen: eine dralle, pralle, rosa Frau –
eine Badende, Sonnen-Badende mit Handtuch, bunt, schrill.
Ich sag Ihnen, Sie leben gut mit Bildern von Bettina
Kresslein.
Zum Schluss rufe ich der Künstlerin Bettina Kresslein mit
dem Trainer Sepp Herberger zu: Das nächste Bild ist
immer das schwerste.
Oder in den Worten des großen Philosophen Karl Valentin,
der unter dem Pseudonym Sepp Maier auch ein großer
Fußballer war:
„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
Und Ihnen – allen – sage ich: Die Kunst ist ein schönes
Spiel, auch wenn´s selten im Fernsehen übertragen wird.