Bettina Kresslein

Alfred Marquart

SWR II Baden-Baden

Fußball ist Gott sei Dank nicht alles auf der Welt; sonst
würde man, den schwäbischen Grinser Klinsmann ständig
im Blick, ja verzweifeln müssen, wo die Weltlage doch
genauso wenig komisch oder erheiternd ist wie das Spiel
der deutschen Fußballnationalmannschaft. Deshalb rede
ich jetzt nicht auch noch über Fußball, so gern ich es täte.

Nein, ich sage etwas über die Bilder, die da hangen. Das
fällt mir nicht leicht, weil es soll ja etwas Gescheites
sein und etwas, was nicht immer gesagt wird, wenn eine
Ausstellung eröffnet wird. Und mit dem Zeitgeist muss es
auch etwas zu tun haben. Und zeigen, wie umfassend
gebildet ich bin – das ist letztlich ja stets der eigentliche
Sinn jeder solcher Rede. Man wird ja auch Kritiker oder
schlicht nur Journalist, um endlich die Möglichkeit zu
haben, anderen Menschen zu sagen, was sie von der Welt
zu halten haben. Oder dem Bild, dem Buch, dem Konzert
beziehungsweise dem Mittelstürmer. Wenn ich Ihnen
nicht sage, dass Michael Ballack eigentlich kein besonders
guter Fußballer ist, würden Sie es nie erfahren… .
Wenn man bei einer Ausstellungseröffnung spricht, soll
man aber nie etwas über die Qualität von Bildern sagen,
sondern zum Beispiel darüber sprechen, was Bilder sind –
ja, genau das: Sie SIND, gehören zu den seienden Dingen –
dazu gehört dann auch eine unterschwellig bestimmende
Metaphysik, wie mancher gelehrte Mensch festgestellt
hat, und wenn gilt (nach Berkeley) „esse est percipi“ (ich
spreche das noch altmodisch aus, wie ich’s gelernt habe),
dann sind auch Bettina Kressleins Bilder, weil wir sie wahrnehmen.
Das zum Beispiel klingt, denke ich, recht gescheit,
ist aber eine Banalität ersten Ranges. Zum Wesen des
Kritikers gehört also, dass er Binsenweisheiten so formulieren
kann, dass sie nach was klingen. Vor, sagen wir, fünfzig
Jahren, hätte man auch formulieren können, dass das, was
die Künstlerin auf die Leinwände bannt, eine Darstellung
des ureigensten Aktes der Intendierung sei, welcher,
indem er eidetische Zonen konstruiert, noch aus den
reinen Formen eine Lebenswelt macht. Das Dargestellte
hätte folglich eine „gestalthafte Prägung“, was wiederum
banalster Unsinn und eine Selbstverständlichkeit ist, aber
nach Husserl klingt und folglich etwas hat. Auch eine
Struktur in Homologie zum Pattern der Levi-Strauss’schen
Verwandtschaftsstrukturen hätte sicherlich irgendwo
und irgendwie festgestellt werden können, aber das wäre
dann schon eher in den sechziger Jahren passiert. Auch die
Epiphanie des Wunsches (Désir) , der nach einem Anderen
strebt (Autre), ohne sich je mit ihm identifizieren zu können,
wäre bei dem einen oder anderen Bild (zum Beispiel den
drei Fußballerbeinen) sicherlich festzustellen gewesen (bei
den Fußballerbeinen käme noch ein Drittes – troisième –
hinzu), Bettina Kresslein wäre so gesehen eine Malerin
der Differenz, genauer: der Differenz in der Identität.
Lassen Sie es mich noch deutlicher sagen: Bei ihren
Bildern ist die Wahrnehmung der Formen niemals träge
Anpassung an die Gegebenheiten des Gefühls. Bettina
Kresslein sagt uns, dass es keine Wahrnehmung gibt, die
nicht Interpretation und Arbeit wäre, und dass
er Übergang vom Gefühlten zum Wahrgenommenen
Aktivität ist, Handeln, Praxis, In-der-Welt-Sein als tätiges
Konstruieren von Abschattungen, international ausgestanzt
aus dem Markt des Dinges an sich – das klingt
einsichtig und ist es auch: Mit denselben Kriterien ist
es mir möglich, ein Viertelpfund Leberwurst von einem
Kilo Äpfeln zu unterscheiden.
Das alles halte ich, gestehe ich, auch nicht allzu lange
durch. Was also sonst? Ich könnte Ihnen jetzt den
üblichen Lebensabriss der Künstlerin bieten (den können
Sie beispielsweise im Internet besser nachlesen); lassen
Sie mich nur eines sagen: sie gehört zu jenen, die nicht
alles, was vor ihr und den Ihren als Kunst geschaffen
worden ist, als Gerümpel bezeichnen. Wer, dies nur als
kleinen Tipp, sich ein bissel in der Kunstgeschichte auskennt,
wird in ihren Bildern doch sehr überraschende
Entdeckungen machen.
Für mich, der sie schon lange kennt und auch das, was
sie so macht, ist das ganz spannend, zu sehen, was sich
entwickelt und verändert hat: wie aus der Arbeit mit
dem Stift eine mit dem Pinsel wurde, über übrigens eine
Vermischung beider hin. Und wie aus einer Art von horror
vacui die Reduktion wurde – wie bei einer guten Sauce .
Wo sie früher in penibelster Arbeit die Karos einer Koch-
Hose füllte (und ich als Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt
weiß mindestens so gut wie mein politisierender Vorredner,
was kleine Karos sind) – also wo sie das früher tat,
kommt jetzt der eine, alles entscheidende Farbstrich;
wobei ich die karierte Hose immer noch sehr gern mag .
Was gleich geblieben ist, letztlich, ist die Philosophie des
Ausschnitts: Die Vorstellung, etwas in seiner Gänze in ein
Bild pressen zu können, ist ja genauso unsinnig wie die,
eine Welt in einen Rundfunkbeitrag von fünf Minuten
oder einen Zeitungsartikel von 12o Zeilen pressen zu
können. Was in unser beider Fälle Vollkommenheitsfanatiker
immer nicht sehen wollen. Ich persönlich halte es
für viel spannender, aus einem Tupfer, einer Andeutung
auf das Ganze schließen zu können. Dass die Andeutung
manchmal das Ganze sein kann, versteht sich von selber.
Der alte Max Liebermann, den ich sehr schätze, hat
einmal einen preußischen Offizier portraitiert – gemalt
hat er nur die Knöpfe an dessen Uniform, das Wichtigste
am ganzen Manne, wie er bemerkte. Dergleichen werden
Sie hier auch finden und vielleicht dabei auch feststellen,
daß die Dame Kresslein nicht zufällig an der Karlsruher
Akademie studiert hat mit heißem Bemühn.
Aber ach, sie schätzt auch die alten Florentiner Meister
(über die im Gespräch mehr als nur etwas Interessantes
von ihr zu erfahren ist) und nicht zuletzt verbindet uns
beide ein gewisser Affekt dem guten alten Guido Reni
gegenüber. (Sie merken, wir kennen uns ein wenig.)
Dieses ausschnittweise Vorgehen gab es schon bei früheren
Landschaften (die hier, leider, sage ich, weil ich sie
nach wie vor sehr mag, nicht hängen) und gibt es bei
der neuen Frau, die Sie auch hier finden werden.
Die Malerin findet, dies sei bemerkt, alle dargestellten
Damen schön, ehrlich. Noch mehr mag sie allerdings die
Lebensmittel (auch in flüssiger Form), die Sie verstärkt
finden. Mit einem starken Hang zur südlichen Küche, zu
südlichen Getränken vom Pastis bis zum Rotwein. Daß sie
auch Pfälzer Weine mit Etiketten versieht, zeigt, zu welchen
Höhen sich inzwischen jene Rebensäfte aufgeschwungen
haben, die in meiner frühen Jugend (und das ist wirklich
sehr lange her) noch mit Tanklastern voller portugiesischen
Rotweines ein wenig aufgehübscht wurden. Das
haben sie nun wirklich nicht mehr nötig. Die Hinwendung
zum Kulinarischen verdankt sie übrigens dem ihr Angetrauten;
ich sage das deshalb, weil normalerweise bei
dergleichen Reden ja immer der Gattin gedankt wird,
ohne deren Putz-, Koch- und andere gesellschaftlichen
Künste der Lebensweg, meine Damen und Herren, nicht
möglich gewesen wäre. An dieser Stelle wird dann gewöhnlich
ein Blumenstrauß verabreicht. Dank also hier
dem Gatten, der eine Flasche Wein vorzieht.
Das sind natürlich Stillleben, aber die haben doch, fürchte
ich, nicht mehr allzu viel mit dem klassischen Stillleben zu
tun (still live, orakelt Umberto Eco dazu, noch am Leben,
aber das würde vermutlich nur mit dem Portrait einer
rohen Geflügelleber noch verständlich). Aber eben auch,
und damit komme ich wieder zur Kenntnis in der Malerei
allgemein zurück, dies lässt sich besser verstehen, wenn
man halt ein wenig weiß. Und nicht immer muss der –
oder in unserem Fall diejenige, die Kunschd betreibt, alles,
was sie weiß, auch darstellen. Es genügt, wenn der eine
oder andere merkt, daß sie sich auskennt. Und die übrigen?
Die können sich ganz normal an den Bildern fr euen. Es ist
ja auch ein Mißverständnis, daß man immer furchtbar tief
dringen müsse, um den ganzen Genuß zu haben. Das
kommt wieder von dem Missverständnis her, dass wirkliche
Kunschd keinen Spaß machen darf, sondern wenn schon
nicht in C-Dur überheben, so doch zumindest nur im
dunklen Dreiteiler genossen werden darf. Was Quatsch
ist. Malerei vor allem wird zunächst einmal mit dem Auge
wahrgenommen. Alles, was man mehr weiß oder mehr
erfährt, kann das Vergnügen daran noch vertiefen.
In Klammer: Für vieles aus der Vergangenheit allerdings sind
Faktenkenntnisse vonnöten – wer die Topik romanischer
Kunst nicht kennt, versteht vieles nicht. Das ist auch auf
anderen Gebieten der Fall – der Zeitgenosse Donizettis
beispielsweise wusste sofort, wenn Lucia di Lammermoor
zu ihrer längeren Arie anhebt: Aha, Wahnsinn! – weil da
eine Flöte dabei war. Das ist bei uns nimmer der Fall;
wer’s weiß, freut sich, wer’s nicht weiß, darf trotzdem von
dieser Arie begeistert sein. Aber wir reden hier ja von der
Gegenwart. Klammer zu.
Und dann möchte ich Sie auch noch auf das ir onische,
karikierende Element dieser Bilder oder wenigstens einiger
von ihnen aufmerksam machen. Es ist nicht immer
da, sondern nur dort zu finden, wo es ihr sehr ernst ist.
Darf ich noch erwähnen, dass die Künstlerin ihren ganz
persönlich-privaten Schuhfimmel (manchmal bin ich
geneigt, es Fixierung zu nennen) in ihren Bildern auslebt?
Paolo Veronese hat immer seine Hunde mit aufs Bild gebracht,
also auch das hat, genau genommen, Tradition…
Es sind übrigens auch immer Bilder von Menschen, auch
dort, wo der Mensch nur ansatzweise oder überhaupt
nicht vorkommt. Gerade dort natürlich ist ganz besonders
die Rede von ihm.
Aber jetzt wollen Sie sicherlich nix mehr hören, sondern
gucken. Tun Sie das und viel Vergnügen dabei. Ich bin mir
bei einem sicher: Sie werden beim Gucken der Bilder mehr
Spaß haben als beim Gucken der Spiele der deutschen
Fußballnationalmannschaft.